Süddeutsche Zeitung 06.11.2024: Kritik zu DIE ZWÖLF GESCHWORENEN"

„Die zwölf Geschworenen“ im Münchner Zentraltheater: Das bessere Amerika als Gegenbild

Kritik von Egbert Tholl, München

geschworene szene webWährend der Aufführung kann man noch hoffen. Dieses Stück am Tag der Wahl in den USA zur Premiere zu bringen, ist schon ziemlich großartig, weil es ein Gegenbild zur Hysterie, zu den Lügen und Nichtwahrheiten zeigt, unter denen die amerikanische Gesellschaft ächzt. Und denen sie sich offenbar willfährig ausliefert.  „Die zwölf Geschworenen“ sind ein ideales Beispiel dafür, wie Demokratie funktionieren kann, wie komplexe Sachverhalte im Reden darüber aufgedröselt werden können, wie Gruppendynamik funktioniert und wie das geht, mit Würde und Anstand miteinander umzugehen. Jetzt spielt Mara Widmann „Die zwölf Geschworenen“ im Zentraltheater. Und zwar alle zwölf. Ganz allein ist sie nicht, sie hat Dennis Kharazmi als partielles Gegenüber. Die Geschworenen aber ist sie ganz allein und liefert damit ein Bravourstück der Schauspielkunst.

Am Tag nach der Wahl wirkt das Stück wie die Chimäre eines besseren Amerikas. Berühmt wurden „Die zwölf Geschworenen“ durch den Film von Sidney Lumet von 1957, mit Henry Fonda in der Hauptrolle. Drei Jahre zuvor hatten Lumet und der Autor Reginald Rose den Stoff als Fernsehspiel herausgebracht, 1997 gab es eine dem Original stark verpflichtete Neuverfilmung mit Jack Lemmon und Armin Mueller-Stahl, bei Weitem nicht die einzige Adaption. Die Uraufführung der Theaterfassung von Horst Budjuhn fand 1958 an den Münchner Kammerspielen statt. Darum geht’s: Eine wie üblich zufällig zusammengestellte Jury hat darüber zu entscheiden, ob ein 19-jähriger Puerto-Ricaner seinen Vater erstochen hat. Es gibt ein paar Indizien wie die Mordwaffe, es gibt zwei Zeugenaussagen. Und es gibt den „begründeten Zweifel“ des Geschworenen Nummer 8.  Im Film spielt keine einzige Frau mit. Mara Widmann erkundet nun dieses Männlichkeitsgefüge, die detaillierten Beschreibungen der zwölf. Das geht nicht ohne ein bisschen Persiflage, und man kann sich gut vorstellen, welche Freude Widmann und die Regisseurin Lea Ralfs dabei hatten. Es gibt einen kurzen Ausschnitt aus dem Film, eine abenteuerlich verzerrte Version der US-Hymne, am Ende singt Widmann zauberhaft „Ich liebe das Leben“ von Vicky Leandros. Davor gelingt es ihr verblüffend, jeder Figur eine Eigentümlichkeit mitzugeben, jeden Herrn plastisch zu gestalten und damit die Haltungen, die Argumente, das Denken erfahrbar zu machen. Zu schnell ist die Aufführung vorbei, man könnte ewig darin verweilen. Gerade jetzt.